Zur Genese der Grünen Pädagogik
Mag. Christine Wogowitsch, Mag. Wilhelm Lindner
2007 erfolgte die Umgestaltung der Agrarpädagogischen Akademie zur Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik. Die österreichweite Schaffung pädagogischer Hochschulen hat die Lehre an allen Standorten forschungsbasiert auf das tertiäre Niveau hin verändert. An der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik wurde damit auch die Entwicklung eines pädagogischen Konzeptes forciert. Diese Entwicklung fand in allen Bereichen statt – in der Auseinandersetzung mit den pädagogischen Grundlagen ebenso wie in der Fachdidaktik bzw. in den einzelnen Disziplinen, etwa der Gartenpädagogik oder der Umweltbildung.
Die Genese der Grünen Pädagogik steht in engem Zusammenhang mit der Neugestaltung von Lehre und Studium. Vor allem die Entwicklung des Hochschulstudienprogramms „Umweltpädagogik“ ab dem Jahr 2006 und dessen Implementierung an der Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik Wien führte zu einer Erweiterung des Wirkungsbereiches.
Über vier Jahrzehnte richtete sich das Studienangebot an der Hochschule ausschließlich an Agrarpädagog*innen und Agrarberater*innen. Aufgrund dieses Ausbildungsschwerpunktes stand die Naturnutzung im Zentrum, mit dem Ziel, die Einkommenssicherung für die in der Landwirtschaft Tätigen sicherzustellen. Mit der ökosozialen Marktwirtschaft war zwar ein nachhaltigkeitsorientierter Rahmen gegeben, dieser spiegelte sich jedoch in keinem pädagogischen Konzept wider.
Mit dem neuen Studienprogramm „Umweltpädagogik“ kamen Dozierende und Studierende an die Hochschule, die weitere Perspektiven zu Themen in Bezug auf Natur, Kultur, soziale Strukturen und Ökonomie einbrachten. Nutzen und Schutz der Natur standen nun in einem verbreiterten Blickfeld. Sie lösten hochschulinterne Diskussions-, Forschungs- und Entwicklungsprozesse auf unterschiedlichen Ebenen aus und machten kritische Punkte sichtbar. Der Design-Based-Research-Ansatz erwies sich speziell zu Beginn des Entwicklungsprozesses als gut geeignete Forschungsmethode. Ausgehend von der Bearbeitung unterschiedlicher Nutzen- und Schutzkonzepte im Forschungs-, Entwicklungs- und hochschuldidaktischen Diskurs wurde ein zirkulär geführter Innovations- und Entwicklungsprozess durchlaufen. Dieser führte zu Fortschritten in der Entfaltung der Grünen Pädagogik und konkretisierte den Ansatz „Bildung für Nachhaltige Entwicklung“ für die Agrar- und Umweltpädagogik.
Der von Analyse, Exploration, didaktischen Entwürfen, Konstruktions- und Evaluations- sowie internen und externen Reflexionsprozessen gesteuerte Reifungsvorgang führte in mehreren Phasen zur Entwicklung eines theoretisch fundierten Konzepts.
Ab dem Jahr 2007 begann eine Implementierungsphase und in den Jahren 2013 und 2016 folgten umfassende Publikationen und Forschungsberichte (Festschrift. Fünf Jahre Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik, 2012; Grüne Pädagogik, 2017; Grüne Pädagogik. Türöffner zu nachhaltigem Lernen, 2016; Leistungs- und Nachhaltigkeitsbericht 2015, 2016).
Die Natur-Mensch-Beziehung stand von Beginn an im Zentrum dieses Konzeptes, somit wurde der Terminus technicus Grüne Pädagogik geprägt. Mit der grafischen Umsetzung des jeweiligen konzeptionellen Entwicklungsstandes wurde das Ziel verfolgt, über die grafische Veranschaulichung den Diskurs zu intensivieren und die Verknüpfung der Zukunftsfähigkeit mit „nachhaltiger Pädagogik“ zu realisieren (Wogowitsch, 2020).
Die erste grafische Umsetzung Grüner Pädagogik entstand im Jahr 2007 als naturalistische Darstellung in Form eines Baumes, welche die Annäherung von Zukunftsfähigkeit und nachhaltiger Bildung als gleichsam „aneinander gelehnte Bereiche“ veranschaulicht und die Doppeldeutigkeit des Begriffs Nachhaltigkeit in der Grünen Pädagogik sichtbar machte.
In der Baumgrafik erscheinen Zukunftsfähigkeit und nachhaltige Bildung zwar als einander ergänzend, nicht aber als miteinander verwoben. In der Weiterentwicklung wurden daher die Teilbereiche von Lernen auf Basis konstruktivistischer Didaktik und Bildung für nachhaltige Entwicklung sichtbar vernetzt.
Nachhaltigkeit kann niemals eindimensional realisiert werden, sie erfordert die Berücksichtigung sozialer, ökologischer und ökonomischer Aspekte und deren Wechselwirkungen. Im Zentrum steht dabei der Erhalt der Natur als Lebensgrundlage. Der Komplexität dieser Herausforderung muss auch die Pädagogik Rechnung tragen: Die Bearbeitung der Themen und Fragestellungen erfordert Lernumgebungen und Lernsettings, in denen systemisch, interdisziplinär, auf konstruktivistischer Basis gelernt werden kann.
Videos zum Expert*innentrialog der Grünen Pädagogik (2013)
zusammengestellt von: Richard Schmetterer
Die konkrete Rahmung in Form eines Lernprozesses thematisiert die nachstehende Grafik.
Ab 2015 wurde an einer dynamischen Vernetzung der Phasen eines Lernprozesses im Sinne nachhaltiger Bildung gearbeitet. Dazu wurde eine spiralförmige Darstellung gewählt, diese visualisiert die Anordnung von Elementen eines Lernarrangements im Sinne Grüner Pädagogik. Die „Spirale der Grünen Pädagogik“ dient als Leitfaden zur Gestaltung von Lernarrangements. Die nach oben hin offene Spirale macht neue Dimensionen im Lernprozess sichtbar, jene der Entwicklung und der Veränderung, indem sie sich in einer dynamischen Bewegung um den im Zentrum eingebetteten Baumstamm windet, der ökonomische, ökologische und soziale Problemstellungen beinhaltet (Hochschule für Agrar- und Umeltpädagogik, 2020), (Grüne Pädagogik, 2017).
Mehr lesen: Lerntheorien und didaktische Prinzipien der Grünen Pädagogik
Einen weiteren Schritt im Entwicklungsprozess skizziert das didaktische Konzept der Grünen Pädagogik als Brücke zwischen Allgemein- und Berufsbildung, indem sie zu disziplinübergreifenden, mehrperspektivisch orientierten Bildungs- und Reflexionsprozessen führt. Die Grafik visualisiert den integrativen Charakter des didaktischen Konzepts der Grünen Pädagogik als Didaktik der Nachhaltigkeitsbildung auf eindrückliche Weise (Forstner-Ebhart & Linder, BBFK, 2018).
Um im Bildungsbereich eine breit geführte Auseinandersetzung mit dem Konzept der Grünen Pädagogik zu ermöglichen, wurde im Jahr 2016 eine illustrierte Kurzpublikation im Pocketformat (https://www.haup.ac.at/publikation/pocketbuch_gruene_paedagogik/) verfasst, welche Struktur und Ziele der Grünen Pädagogik für die Entwicklung von Modellen für zukunftsfähige Lebensstile beschreibt.
Ein reger nationaler und internationaler Disseminationsprozess und damit eine auf theoretische Diskurse und Forschungen fußende Weiterentwicklung der Grünen Pädagogik wird von einem Kernteam mit großem Engagement betrieben. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die internationalen Projekte ProfESus (https://profesus.eu/ ) und EduLocalFOOD (https://www.educlocalfood.eu/).
Die Hochschulleitung erkannte früh das Potenzial und unterstützte die Entwicklung Grüner Pädagogik für eine strategisch nachhaltige Positionierung der Hochschule im Agrar- und Umweltbildungsbereich. In einem Aktionsplan für die Jahre 2016-2022 wurdendie Handlungsfelder festgelegt und durch Maßnahmen konkretisiert. Ohne die personalen Voraussetzungen, dem persönlichen Interesse,dem großen Engagement der Dozierenden und Studierenden und die Bereitstellung der dafür erforderlichen Ressourcen wäre dieses Projekt nicht gelungen, die strategische Ausrichtung der Hochschule wohl eine andere Richtung eingenommen. Dafür sei an dieser Stelle allen Beteiligten auf das Herzlichste gedankt.
Die Grüne Pädagogik bildete in den weiteren Jahren den pädagogisch-strategischen Rahmen für Lehre und Studium an der Hochschule und beeinflusste die interne Lernkultur wesentlich. Bei der Feier anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Hochschule bezeichnete Rektor Haase in seiner Festrede die Grüne Pädagogik als Alleinstellung (unique selling point) der Hochschule. Studienprogramme und Lehrveranstaltungen in Aus-, Fort- und Weiterbildung bestätigen die Bedeutsamkeit und konkretisieren die Ziele einer Bildung für Nachhaltige Entwicklung durch das pädagogische Konzept der Grünen Pädagogik. An einer innovativen Weiterentwicklung wird beständig gearbeitet.
Literaturverzeichnis (im Text verwendete Quellen und Abbildungen)
Forstner-Ebhart, A., & Wogowitsch, C. (2013). Grüne Pädagogik: Zur theoretischen Fundierung innovativer Lernsettings im Kontext der Landwirtschaft. In D. Haubenhofer, & I. Strunz, Raus auf’s Land – Landwirtschaftliche Betriebe als zeitgemäße Erfahrungs- und Lernorte für Kinder und Jugendliche (S. 34-49). Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.
Forstner-Ebhart, A., & Linder, W. (2018).Nachhaltigkeitsbildung – eine Brücke zwischen Allgemeinbildung und Berufsbildung. https://www.bbfk.at/images/BBFK_2018/Doku_Posters/13
Hochschule für Agrar- und Umeltpädagogik. (2012). Festschrift. Fünf Jahre Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik. (T. Haase, Hrsg.) Wien: Eigenverlag.
Hochschule für Agrar- und Umeltpädagogik. (27. Dezember 2020). Grüne Pädagogik. Von everybodywiki: https://de.everybodywiki.com/Grüne_Pädagogik abgerufen
Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik. (2016). Grüne Pädagogik. Türöffner zu nachhaltigem Lernen. Wien: Eigenverlag.
Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik. (2016). Leistungs- und Nachhaltigkeitsbericht 2015. Wien: Eigenverlag.
Hochschule für Agrar- und Umweltpädagogik. (2017). Grüne Pädagogik. Wien: Eigenverlag.
Umweltpädagogik, H. f.-u. (2013). Grüne Pädagogik. Vom Theoriefundament bis zu professionsorientierten Lernarrangements. Wien: Eigenverlag.
Wogowitsch, C. (2020). Vom Auswahlmodus zur Bewertungskompetenz. In S. Kapelari, Vierte „Tagung der Fachdidaktik“ 2019. Interdisziplinäre fachdidaktische Diskursezur Bildung für nachhaltige Entwicklung (S. 81-111). Innsbruck: innsbruck university press.